Stadt der Speere
Sympathisch. Erstaunlich. Schön.

Schöningen

Bewegende Ausstellung hatte Hunderte von Besuchern

Initiatoren ziehen Resümee

Die AG „Stolpersteine und Holocaustgedenken in Schöningen“ holte 2018 die Wanderausstellung „Der Graue Bus“ ins Rathaus nach Schöningen, wo sie im Sitzungssaal vom 22. bis zum 27.1.2018 zum Gedenken an die „Euthanasie“-Opfer im Nationalsozialismus zu sehen war. Die Resonanz war überwältigend. Gemeinsam haben die Iniatoren Rosemarie und Manfred Saak sowie Heidemarie Rank ihre Eindrücke wie folgt formuliert:

Zur Ausstellungseröffnung am 22.1.2018 um 18 Uhr konnte der langjährige ärztliche Direktor des ehemaligen Landeskrankenhauses Königslutter, Professor Dr. Jürgen-H. Mauthe für einen Vortrag über die „Euthanasie“-Verbrechen zwischen 1939 und 1945 gewonnen werden. Prof. Mauthe referierte sehr eindrucksvoll über die Phasen der „Euthanasie“ im sogenannten 3. Reich, beginnend mit der Kinder-„Euthanasie“, über die sogenannte T4-Aktion (Erwachsenen-„Euthanasie“, T4 verschleiernd genannt nach der Adresse der „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin), die „Sonderbehandlung 14f13“, die „Wilde“ oder „Dezentralisierte Euthanasie“ bis zur „Aktion Brandt“, der letzten, besonders unter ökonomischen Gesichtspunkten von Dr. Brandt u.a. organisierten Krankenmordaktionen.
Einen Schwerpunkt seines Vortrages legte Prof. Mauthe auf die Vorgänge in der damaligen Landes-Heil-und Pflegeanstalt Königslutter, eine der sogenannten „Durchgangsanstalten“ für den Transport psychisch kranker und behinderter Menschen in die „Tötungsanstalten“, vor Allem nach Bernburg.
Schätzungsweise sind etwa 600 Patientinnen und Patienten, davon mehr als 180 aus Königslutter selbst, getötet worden, außerdem eine unbekannte Zahl sehr wahrscheinlich im Rahmen der sogenannten „Wilden Euthanasie“ durch Vernachlässigung und Verhungernlassen.
Eine Frage, die Prof. Mauthe wiederholt aufwarf und die auch viele Zuhörer und Zuhörerinnen in anschließenden Gesprächsbeiträgen bewegte: Wie konnte es möglich sein, dass so viele Ärzte und das Pflegepersonal an der „Auslese“ und Tötungen der kranken Menschen beteiligt waren und die Bevölkerung in den betreffenden Orten angeblich „nichts merkte“, versuchte er z. T. unter psychologischen Gesichtspunkten ansatzweise zu erklären.

Zwei Musikerinnen, Kerstin Präkelt-Makulla und Angela Grella, das Duo KerEla, begleiteten die Ausstellungseröffnung mit Geige und Gitarre mit Klezmermusik, die zu Nachdenkpausen über die gehörten Inhalte Raum ließ.

Zum Schluss der Eröffnungsveranstaltung bedankte sich Bürgermeister Henry Bäsecke bei Prof. Mauthe, den Musikerinnen und den Initiatoren der Ausstellung, Rosemarie und Manfred Saak und Heidemarie Rank.

An der sehr informativen, betroffen machenden und zum Nachdenken auch über aktuelle Entwicklungen anregenden Ausstellungseröffnung nahmen ca. 100 Personen teil, die im Anschluss an die Beiträge die Gelegenheit wahrnahmen, die Ausstellungstafeln zu studieren und sich darüber auszutauschen.

Die Wanderausstellung „Der Graue Bus“ war 2015 mit einem mobilen Denkmal in nachempfundener Form eines grauen Transport-Busses schon auf dem Schlossplatz in Braunschweig zu sehen. Der Name bezieht sich auf die grauen Busse, mit denen im Nationalsozialismus psychisch kranke und behinderte Menschen aus den psychiatrischen Kliniken und Heil-und Pflegeanstalten abgeholt wurden, um sie in den Tötungsanstalten zu ermorden.
Die Ausstellung gliedert sich in einen allgemeinen, erklärenden Teil zur Geschichte der NS-„Euthanasie“-Verbrechen, spezielle Informationen über die „Landes-Heil-und Pflegeanstalt Königslutter“ und die Evangelische Stiftung Neuerkerode und deren Beteiligung und eine Zitate-Sammlung von Wegbereitern der „Euthanasie“, Opfern, Angehörigen und Tätern.
In der Wochen vom 23. Bis zum 27.1.2018 wurde die Ausstellung von knapp 500 Interessierten aufgesucht, worunter zahlreiche Schulklassen mit ihren Lehrkräften der Schöninger Schulen den Schwerpunkt bildeten.
Die große Mehrheit der Jugendlichen las konzentriert und mit großer Nachdenklichkeit alle Informationen, viele stellten den begleitenden Lehrkräften und dem Organisationsteam Verständnis- und weiterführende Fragen und zeigten in Gesprächen ihr Interesse und tiefe emotionale Betroffenheit, besonders über die regionalen Ereignisse, von denen die Meisten bisher wenig wussten.
Im Rathaus-Sitzungssaal konnten die Lerngruppen gleich im Anschluss an die Betrachtung der Ausstellung den Raum zum gemeinsamen Nachbesprechen ihrer Eindrücke nutzen, wobei vielfach aktuelle Bezüge und Fragen aufgeworfen und Sorgen über politische und gesellschaftliche Entwicklungen zur Sprache kamen.
Während der Woche und besonders am Samstag wurde die Ausstellung auch von zahlreichen interessierten Bürgern Schöningens und der Umgebung besucht.

Im Zusammenhang mit der Ausstellung stand der im 4. Jahr vom Organisationsteam Saak/Rank, Pfarrer Frank Barche und Matthias Laidler mit Beteiligung von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern der Schöninger Real-und Hauptschule und des Gymnasiums ausgerichtete Holocaust-Gedenkgottesdienst, der am Freitag , dem 26.1.2018 in der St. Vincenz-Kirche stattfand. Über 300 Schülerinnen und Schüler und zahlreiche Erwachsene nahmen an der Veranstaltung teil.
Die bei einer solch großen Anzahl Jugendlicher eher ungewöhnliche Ruhe und Aufmerksamkeit während der knapp 60 Minuten spiegelten die Betroffenheit durch die informativen Beiträge zum Holocaustgedenktag und die „Euthanasie“-Verbrechen und die einfühlsamen musikalischen und poetischen Darbietungen besonders der jugendlichen Akteure.
Pfarrer Barche gab in seiner Andacht Denkanstöße auch zur heutigen Zeit, z. B. zu Diskussionen über einen würdevollen Umgang mit alten Menschen und deren Behandlung, in denen sich manchmal bedenkliche Tendenzen ahnen und erkennen lassen.

Sowohl die Ausstellung „Der Graue Bus“ im Rathaus als auch die Holocaustgedenk-Veranstaltung in der benachbarten St. Vincenz-Kirche zeigten ein nicht geahntes Interesse der Menschen in Schöningen und Umgebung an den historischen Ereignissen und regten zum Nachdenken, besonders auch der jungen Menschen an, die die Organisatoren und Beteiligten in der Notwendigkeit ihres Anliegens einer stetigen „Erinnerungskultur“ bestätigten und bestärkten.

Die Durchführung der Aktionswoche war nur möglich und zu verwirklichen durch die intensive Unterstützung der Stadt Schöningen, insbesondere Frau Grundmanns, der St. Vincenz-Kirche und der Schöninger Schulen.


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